AG Staiber
Arbeitsgruppe - PD Dr. Wolfgang Staiber
Analyse der Struktur und Funktion der Keimbahnchromosomen und ihr Verhalten während der Eliminationsmitosen in der Mücke Acricotopus lucidus
Die Elimination von Chromatin oder ganzer Chromosomen vom künftigen somatischen Zellkern während der Keimbahn-Soma Differenzierung in der frühen Embryogenese ist ein genetisches Phänomen, das in einer großen Zahl unterschiedlichster Tierspezies gefunden wird. Über den Ursprung, die Struktur und Funktion der zusätzlichen Chromosomen, die auf die Keimbahn beschränkt sind, ist wenig bekannt.
Fluoreszenz in situ Hybridisierung (FISH) mit markierter Soma-DNA auf diese Keimbahn spezifischen Chromosomen (= Ks) bzw. die Soma-Chromosomen (Ss) in Spermatogonien-Mitosen der Mücke Acricotopus lucidus zeigten, dass jedes der neun verschiedenen K-Typen große S-homologe Abschnitte besitzt. Painting Proben der drei Ss wurden durch Mikrodissektion polytäner Speicheldrüsenchromosomen mit anschließender Amplifikation durch degenerierte Oligonukleotid-gestarteter Polymerasekettenreaktion (DOP-PCR) erstellt. Multicolor-FISH zeigte, dass jedes der Ks mit Ausnahme eines einzigen K-Typs von einem spezifischen S abstammt (1). Eine mögliche Funktion der S-homologen K Abschnitte könnte die Festlegung regelmäßig auftretender Crossover Ereignisse sein, wobei die daraus resultierenden Chiasmata in diese Regionen die korrekte Verteilung der K Homologen während der Meiose sicherstellen. Reverses Chromosomenpainting ergibt den eindeutigen Nachweis für die Hypothese, dass im Verlauf der Evolution die Ks aus den Ss durch Endopolyploidisierung und Umlagerung entstanden, gefolgt von der Anhäufung Keimbahnspezifischer repetitiver DNA-Sequenzen in den Centromerregionen.
In Acricotopus passieren die Ks und Ss einen komplexen Chromosomenzyklus, der drei genetische Eigenarten aufweist:
- Die vollständige Elimination der Ks von den zukünftigen somatischen Zellkernen während früher Furchungsteilungen (=Somaelimination) (3).
- Die Elimination ungefähr der Hälfte der Ks während der ersten Gonienmitosen der Urkeimzellen in frisch geschlüpften Larven (=Keimbahnelimination) (2).
- Eine Kompensationverdopplung der Ks als Ergebnis der letzten Gonienmitose vor der Meiose in jungen Larven des vierten Stadiums. In dieser Mitose wandern alle Ks als ungeteilte Schwesterchromatiden zu einem Pol, während die Ss äqual verteilt werden (Differentialmitose) (4).
Die speziellen Mitosen produzieren Tochterzellen mit unterschiedlichem Chromosomensatz und unterschiedlichen Zellschicksal. Diejenigen Zellen, die alle Ks und zwei S Sätze erhalten, werden zu Oocyten bzw. primären Spermatocyten, während diejenigen, die nur zwei S Sätze erhalten, sich zu Nährzellen bzw. aberrante Spermatocyten differenzieren.
Während der Differentialmitose wird eine bevorzugte Segregation der Mitochondrien zu einem Pol beobachtet, der mit einer asymmetrischen Spindelbildung assoziiert ist. In Männchen wird die ungleiche Verteilung der Mitochondrien auf die Tochterzellen durch den Transport von Mitochondrien via einer permanenten Zytoplasmabrücke von der aberranten Spermatocyte in die primäre Spermatocyte ausgeglichen (4). Diese Asymmetrie in der Verteilung und Segregation cytoplasmatischer Komponenten während der differentiellen Gonienmitose in Acricotopus könnte am Prozess der Zellschicksalsbestimmung beteiligt sein.
Ausgewählte Publikationen:
Staiber, W., Schiffkowski, C. (2000). Structural evolution of the germ line-limited chromosomes in Acricotopus. Chromosoma 109, 343-349.
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Staiber, W. (2005).Cytogenetic analysis of partial elimination of germ line limited chromosomes from primary germ cells in Acricotopus lucidus (Diptera, Chironomidae). Cytologia 70, 7-12.
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Staiber, W. (2006). Chromosome elimination in germ line - soma differentiation of Acricotopus lucidus (Diptera, Chironomidae). Genome 49, 269-274.
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Staiber, W. (2007). Asymmetric distribution of mitochondria and of spindle microtubules in opposite directions in differential mitosis of germ line cells in Acricotopus. Cell Tiss. Res. 329, 197–203